Ich erinnere mich an meine Zeit als Sozialarbeiterin, da ich in einem
Stadtteilladen gearbeitet habe. Es galt ein Straßenfest zu organisieren. Bei
den Vorbereitungen halfen alle mit, und es ging dabei oft hoch her. Meist war
es lustig und relativ friedfertig. Aber einmal entstand doch Streit zwischen
zwei Jugendlichen, die sich anbrüllten und gegenseitig bedrohten. Einer der
beiden griff nach einem Gegenstand, unglücklicherweise ein Becher aus Ton, und
warf ihn dem anderen vor die Füße. Der Becher zersprang auf dem Steinboden in
viele Teile. Alle waren erst mal entsetzt, und dann erbost. Einige wollten die
Situation beruhigen und sprachen denjenigen an, der den Becher geworfen hatte:
„Jetzt hol‘ endlich die Kehrschaufel und feg‘ die Scherben weg.“ Blitzschnell
kam die Reaktion. „Wieso ich denn? Ich war’s ja gar nicht.“ Wir schauen perplex
auf, hatten wir doch grad eben noch gesehen, wie er den Becher zertrümmerte.
Unfassbar. „Aber wir haben doch gesehen wie du den Becher geworfen hast.“ „Ich
war’s nicht.“ Wiederholt der Junge. Egal, was wir sagten, der Junge blieb
dabei. Er war’s nicht. Der junge wollte keine Schuld haben. In seinem noch
kindlichen Denken hatte er keine Schuld, weil er sich vom anderen provoziert
fühlte. Also war der andere schuldig.
Es ist so schwer für sich selbst und das eigene Handeln Verantwortung zu
übernehmen, zumal das ja kaum noch einer tut. In der Politik nicht, im
Straßenverkehr nicht, im Büro nicht. Und wir verwechseln Verantwortung mit
Schuld. Während Schuld ein Verstoß gegen Regeln ist und meist irgendeine Strafe
nach sich zieht, meint Verantwortung ein Standhalten in Situationen, in
denen es gilt, eine Lösung bzw. eine Antwort zu finden.
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